Ein Wachsoldat im „Fuchsbau“ der NVA erinnert sich

Ein Wachsoldat im „Fuchsbau“ der NVA erinnert sich

 

Ich habe als 19-jähriger 184 Wachen im Fuchsbau gestanden. Als Mot.-Schütze gezogen, musste ich in Strausberg während der A-Kompaniezeit einige Fragebögen ausfüllen. Der Dreh- und Angelpunkt war, ob westliche Verwandte da sind. Nach den ersten 6 Wochen Ausbildung, wo man uns das Laufen, Grüßen, Schrank- und Bettenbauen beigebracht hatte, mussten wir ca. 20 Soldaten mit dem Dienstgrad Flieger auf einem LKW Platz nehmen.
Es wurde kein Ziel genannt, auch die Ausbilder taten dumm. Geheimnisvolle Ungewissheit, bis die Plane geöffnet wurde.
Nur so viel war klar, dass wir 40-50 km gefahren und nun in einem Wald absteigen durften. Ein zweistöckiges Gebäude, vor dem eine Betonstrasse in einem Kreis endete.
Eigenartig war, dass die Strasse und die Gebäude Tarnfarbe trugen.

Im Kopfbau wurden wir über die Geheimhaltungsbestimmungen unterrichtet und jeder musste dafür unterschreiben.
Die Details an unseren Uniformen, die uns als zu den Fliegern gehörig identifizierten, mussten sofort gegen graue Schulterstücke ausgetauscht werden.
Die Adresse war nur eine Postfachnummer mit Namen, aber ohne Dienstgrad. Dann ging es ins Nachbargebäude, der Unterkunft für die Wachkompanie. Gut 30 Stufen hoch, sehr flach gebaut mit einem langen Mittelgang. Bis zum Wochenende hatten wir politischen Unterricht ,Wacheinweisungen und Waffenreinigen. Nach den 24 Stunden Wachdienst konnten wir in den Ausgang nach Fürstenwalde. Bis zur ersten Kneipe, dem „Fliederheim“ waren es etwa 3 km. Das Bier schmeckte nicht „gepflegt“, kostete aber auch nur 41 Pfennige. Die Bedienung meist unfreundlich, das Lokal nicht übertrieben sauber.
Ein großer Teil der Soldaten machte sich die Mühe, mit dem Bus weiter in die Stadt zu fahren.
Es wurde uns genau gesagt, welche Kneipen wir zu meiden hätten.
Der Sold war 80,- Mark, später als Gefreiter gab es 125,-Mark und für Gaststättenbesuche blieb nicht viel, wenn man noch Zigaretten brauchte.
Mein Kumpel Pfeifer und ich, wir gingen aber trotzdem gern in Fürstenwalde spazieren und sind zu 22.oo Uhr „voll wie die Eimer“ zurückgekehrt.
Der Trick bestand darin, zu sehen, wo russische Offiziere (in Zivil) „becherten“. Wir fragten, ob noch Plätze am Tisch frei sind, „gaben eine Runde Bier aus“ und wurden dann meistens mit Wodka „zugeschüttet“.

Rund um das Objekt gab es zwei Zonen, getrennt bewacht durch Streife laufende Soldaten. Im Bereich um den Bunker waren noch mal zwei Stacheldrahtzäune mit einem geharkten Streifen Sand in der Mitte. Eine Runde war ca. 1 km und man hatte 1 Stunde Zeit dafür. Mit einer großen Akkulampe sollte in der Nacht immer ein Viertel des Sandstreifen auf Spuren abgeleuchtet werden. Ich musste in den ersten Wochen noch auf einem Holzwachturm stehen. Das war die lässigste Art, denn mit drei gelösten Wandbrettern konnte man sich ohne Angst, überrascht zu werden, auf dem Brett ausstrecken, wobei zwei Bretter über Kreuz auf der Luke lagen und dadurch ein Zutritt nicht möglich war. Die Seitenfenster hochgeschoben, habe ich aus Langeweile immer den Verschluss meiner Kalaschnikow durchgezogen und die Patronen fielen nacheinander auf den Bretterfußboden. Als ich einmal etwas zu schnell durchzog, flog eine Patrone durchs geöffnete Fenster. Ich habe ca. 1 Stunde unten im Sand gesucht und sie dann mit dem Zündhütchen nach oben gefunden. Man hat sich dann gewundert, wie ordentlich und sauber es unter meinem Turm aussah. Dann wurden die Postentürme abgeschafft und zwei Soldaten mußten Runden laufen. Fakt ist aber, dass nur der OvD bewacht wurde... .

Schlief der OvD, dann schlief auch der ganze Wachzug. In der Wachstube und im Schlafraum grunzten und schnarchten die Posten mit. Sobald der OvD aufstand, wurden die Posten geweckt und sind dann „wie die Hühner“, so schnell wie möglich zu ihren Bereichen gerannt. Ein Hauptmann Bloch hatte den Ehrgeiz, uns zu überführen. Als er OvD hatte, machte er heimlich Spuren zwischen den Stacheldrahtzäunen und wartete dann auf den Alarm, der aber nicht ausgelöst wurde, weil „kein Schwein“ die große Akkulampe zum Ausleuchten mitschleppte. Das Theater ging nach hinten los und „verpuffte“ wirkungslos.

Oder das Ding mit dem Anzeigeschrank für die Soldaten, die auf Streife mit einem Stöpsel-Telefon unterwegs waren. Das Einstecken des Hörers ließ über Relais ein Lämpchen auf einem beleuchteten Lageplan angehen. Der Wachhabende konnte dann die Meldung, „ .. Ohne Vorkommnisse ..“ entgegennehmen. Hauptmann Bloch saß dann mal vor dem Gerät. Als die nächste Lampe kam, griff er zum Telefon und wunderte sich, dass keine Meldung kommt. Ihm wurde erklärt, dass es verabredet ist, nur bei Vorkommnissen zu melden. In Wirklichkeit schlief die Streife, was man an der Anzahl der Kalaschnikows im Waffenständer hätte unschwer sehen können. Dass die Lämpchen dennoch angingen, dafür sorgte eine von hinten durch die Rückwand geschobene Hand, die ein Relais drückte, damit sich Hauptmann Bloch keine Sorgen machen musste. Ekliger fanden wir schon, als er auf die Wählerscheibe unseres Telefons im Wachlokal die Asche seiner Zigarette ablegte, um zu sehen, ob jemand den unteren Posten warnte. Pfeifer pustete sie einfach weg. Machte den Warnanruf und legte seine eigene Asche drauf. Bloch war sauer. Er montierte beim nächsten Mal die Wählscheibe einfach ab und nahm sie mit. Unser Wachhabender beschwerte sich, denn das Telefon war damit unbrauchbar und das ging wieder nach hinten los.

Ein großes Risiko für uns war die große Außenstreife. Die wurde zu zweit gelaufen und ging um das Objekt herum. Ein EK (Entlassungskandidat) sollte mich einweisen. Er hatte dazu keine Lust und somit wusste ich nicht, wo sie wirklich lang ging. Natürlich hat es mich dann auch erwischt. Der Stabsfeldwebel Brünn kontrollierte uns und ich wurde mit drei Tagen Arrest bestraft. Wir hatten uns auf einer Wiese gesonnt und mein Kamerad warnte zu spät, dass der OvD kontrollieren kommt. Diese drei Tage waren im Nachbarobjekt, der sogenannten Ziegelei „abzusitzen“. Ich hatte noch Glück mit meinem Knast, denn in der Zwischenzeit ging am Petersdorfer See eine Übung mit Zeltaufbau im Wald zu Ende.

Nun bewachte ich schon ein Jahr diesen Bunker und keiner wusste genau, was dort drinnen ist. Deshalb war der Bunker hin und wieder Gesprächsthema. Als ich mal mit dem Gefreiten Bork quatschte, ließ ich mal die Story raus, die ich unten in der Stadt in der Kneipe gehört hatte. Recht verdutzt war ich, als ich zum Kommandeur gerufen wurde. Ich erfuhr dann, dass der Stinker Bork ein Spitzel war und man meinen guten Kontakt zu einem Unteroffizier, der unten im „System“ arbeitete, argwöhnisch beobachtet hatte. Der hatte mir aber wirklich kein Sterbenswörtchen verraten. Ich bekam für mein Gequatsche eine Bestrafung vom Kommandeur. Das waren 3 Dienstverrichtungen außer der Reihe.
Zum Ableisten meiner Dienstverrichtungen musste ich in den Medpunkt zum Unteroffizier Rutkowsky. Ich sollte ihm drei Medizinschränkchen anbauen und wir waren uns gleich relativ symphatisch. Hatte ich mal von der Wache „die Schnauze voll“, spielte ich Fußball und zog danach für einige Tage in den Medpunkt ein. Als Rutkowsky einmal bei extremer Kälte und hohem Schnee auf einem „Abhärtungstrip“ war, legte er eine aufgezogene Spritze auf den Tisch und stellte sich unter die heiß aufgedrehte Dusche, um dann nackt rauszulaufen und sich im Schnee zu wälzen. Sollte er einen Kreislaufkollaps bekommen, hätte ich ihm die Spritze verabreichen sollen. Rutkowsky war ohnehin ein „seltsamer“ Typ. Als er einmal im Herbst von verschnupften Soldaten in Massen „belästigt“ wurde, sagte er, dass er nun nur noch Spritzen geben werde. Er grinste und sagte mir, dass es sich nur um destilliertes Wasser handelte und es ziemlich „brennen“ würde. Im Nu blieben die Klienten fort. Es geschah dann, dass wir mal gleichzeitig in Ausgang gehen konnten. Er bot an, dass wir gemeinsam per Anhalter über die Autobahn nach Berlin fahren sollten. Er lief Richtung Tankstelle. Ich lief weiter geradeaus und winkte hin und wieder auf der Autobahn. Ein LKW hielt an und Rutkowsky saß schon lachend drin.
Bei der Rückfahrt benutzte ich den Vorortzug und zog dann auf der Toilette kurz vor Fürstenwalde wieder die Uniform an. Irgendwie hatte der Hauptfeldwebel Wallert manchmal „einen Riecher“ und wartete auf dem Bahnhof, um uns „schwarze Schafe hochzuziehen“. Noch in letzter Sekunde habe ich ihn mal entdeckt und bin auf der bahnsteigabgewandten Seite ausgestiegen und bis zur Schranke gelaufen, um rechtzeitig im Fuchsbau zu sein.
Die kurioseste Bestrafung fasste ich wegen „Tage-in-den-Schnee-pinkeln“ direkt vor dem Wachlokal ab. Ich hatte nicht bedacht, dass in der Nacht kein Schnee mehr gefallen war und der Kommandeur „rot bzw. gelb“ gesehen hat. Da sich keiner meldete, meinem Zug der Ausgang gestrichen werden sollte und unser schwuler Genosse Frint mich ohnehin verraten hätte, habe ich mich gemeldet. Interessieren würde mich heute mal, wie das wohl in meiner Akte formuliert wurde.

Zweimal im Jahr gab es großen Alarm im Bunker. Von Strausberg kamen dann General Scheibe und Oberstleutnant Reinhold mit ihrem Stab. Die blieben bis zu zwei Wochen unten im Bunker. Im Kopfbau gleich am Bunkereingang wurden ihre Mäntel und Mützen abgelegt. Die Sonderaufgabe der Wache bestand nun im Garderobendienst. Also einmal Garderobe abnehmen, tagelang „gammeln“, während die Kameraden im „Dezentralisierungsraum“ ihre Übungen durchführen mussten. Keiner wusste, wann die Chefs wieder hochkamen. Ich stand gerade vor Scheibes Mantel und betrachtete die dicken goldenen Raupen der Schulterstücke. Ganz plötzlich waren Schritte im Gang zu hören. Sie kamen hoch! Die Offiziere waren sofort hinter der Barriere verschwunden, um ihre Mäntel zu greifen. Da Scheibes Mantel extra hing, ich aber noch davor stand und keine Lust hatte, einen Hechtsprung zurück über die geschlossene Klappe zu machen, nahm ich seinen Mantel vom Bügel und half ihm rein. Das hatte unser Kommandeur wohlwollend zur Kenntnis genommen. Den Tag Sonderurlaub nahm ich sofort.

Fürstenwalde an der „Knatter“ hat eine interessante Spree-Brücke mit einem Stahl-Rundbogen auf jeder Seite. Von unseren Vorgängern hörten wir, dass nur „die Schärfsten vom Fuchsbau“ sich trauten, da rüberzugehen. Mit 10-12 Bieren sind Pfeifer und ich auch rüber. Wenn ich heute mit dem Auto dort langfahre, muß ich immer noch daran denken, was wir doch für leichtsinnige Burschen waren.
Immerhin bin ich mit 11 offenen Bestrafungen doch noch Gefreiter geworden.
Als ich 1968 entlassen wurde, begannen die Vorbereitungen für die Errichtung eines Elektrozaunes und die Wachkompanie wurde stark dezimiert.
Den Bunker hätte ich mir gerne mal von innen angesehen, aber nach der Wende habe ich den richtigen Zeitpunkt leider verpasst...
Helmut Linde